Alpiner Kletterausflug mit aktuellem Worldchampion Koba Kobayashi und Everestsummiter Andy Holzer

Koichiro KOBAYASHI, kurz Koba, kenne ich seit dem Jahre 2005, als wir gemeinsam mit Erik Weihenmayer und weiteren zwei blinden Menschen und deren Begleiter den Gipfel des Kilimanjaro bestiegen hatten. Ich traf diesen liebenswürdigen japanischen Ausnahmekletterer dann wieder im September 2012 im Rahmen unserer Teilnahme bei der Weltmeisterschaft im Paraclimbing in Paris direkt hinter der Wettkampfwall in der Aufwärmzone.

Sein letzter Sehrest verschwand im Laufe der nächsten Monate und so war er bei der WM 2014 in Spanien schon als B1, also als vollblinder Kletterer eingeteilt. Nicht nur 2014 in Spanien, nein, auch im Jahre 2016 gewann Koba in Paris zum zweiten Mal die Goldmedaille im Sportklettern in der Klasse B1.

Und nun rückte dieser kleine, mit seinen 51kg Körpergewicht extrem drahtige Asiate in Innsbruck zu seiner nächsten Weltmeisterschaft an.
Koba gewann am 13. 09. 2018 in Innsbruck seine dritte Goldmedaille in der Klasse B1. Er kontaktierte mich schon Wochen zuvor, weil er mich im Zuge seiner Europareise einmal zu Hause in den Lienzer Dolomiten besuchen wollte. Seine so liebe und starke Frau Tammy begleitet ihn.

Nun war guter Rat teuer für mich. Was sollte ich ihm in den Dolomiten zeigen. Und vor allem, wo sollte ich ihm seinen Wunsch erfüllen, die Dolomiten zum ersten Mal zu erklettern, ohne gröberen Problemen zu begegnen und ohne zu viel zu riskieren? Ich wusste praktisch gar nichts über seine Fähigkeiten, sich im alpinen, ernsten Gelände zu bewegen. Jedem Bergsteiger ist klar, dass der von Koba beherrschte Schwierigkeitsgrad 7a+ in der Kletterhalle sehr wenig über sein alpines Verhalten aussagt.

An diesem Montag den 17. September 2018 war es dann so weit. Selten in meinem Leben konnte ich vor einer geplanten Klettertour nicht schlafen und selten habe ich während der Nachtstunden vor einem großen Abenteuer mehrmals meinen Plan überdacht, verworfen und wieder neu angedacht. Es war einfach zufällig so, dass sich keiner meiner vielen Kletterpartner an diesem Montag hat für uns frei machen können um die beiden Blinden, Koba den frischgebackenen Weltmeister und Andy, den ersten blinden Bergsteiger an der Nordroute am Mount Everest zu begleiten. Kurzerhand entschied ich mich, dass ich selbst die Führung der Seilschaft übernehmen würde. Lediglich Tammy, Kobas Frau begleitete uns und sie war die Einzige im Team, die sehen konnte.

Bei strahlendem Wetter fuhr uns meine Frau Sabine zur Dolomitenhütte, dem Ausgangspunkt in den Lienzer Dolomiten. Schon gleich nach dem Verlassen des Fahrzeugs wurde ich von der harten Realität unseres Unterfangens eingeholt. Tammy fragte meine Sabine noch am Parkplatz, in welche Richtung wir nun losgehen sollten. Wenn mich Sabine nicht schon so viele Jahre lang kennen würde, wäre sie spätestens während dieser grotesken Situation verzweifelt. Als Koba mit seiner Tammy dann aber direkt vor mir, über dieses mir längst bekannte, im Fahrweg eingebettete Weiderost balanzierte, war mein Navigationssystem kalibriert und ich wusste, wir sind richtig. Noch das Gatter bei der Dolomitenhütte an dessen linker Seite über die dafür vorgesehenen Stufen überstiegen, tauchten wir direkt in meine geliebte heimatliche Bergwelt der Lienzer Dolomiten ein.

All meine Unsicherheit war verflogen und ich freute mich wie ein kleiner Junge, meinen Freunden aus Japan meine Berge zu präsentieren.
Von Höhenmeter zu Höhenmeter, von Kurve zu Kurve spielte sich unser so spezielles Team auf einander ein, dass uns nicht mal diese beiden Touristenfahrzeuge, die auf dem an sich gesperrten Weg an uns vorbeifuhren und uns stehen ließen, außer Balance bringen konnten.

Es war einfach so genial. Koba wollte die Dolomiten erklettern. Seine Frau war die einzige unter uns, die sie sehen konnte und ich war der, der das Projekt führen durfte. Ich fragte immer wieder bei ihr ab, was sie sehen konnte und ich sagte ihr darauf, wo und wann wir abzweigen mussten. Ich war ja der einzige der den Weg und unsere geplante Route kannte. Spannend war für mich, dass ich bald bemerkte, das Timing macht bei mir im Sinne meiner Orientierung sehr viel aus. Wir drei stiegen verständlicherweise wesentlich langsamer auf als ich dies mit meinen sehenden, vertrauten Freunden immer so mache.

Es gab einige Situationen, wo ich für Augenblicke echt nicht mehr wusste, wo genau wir sind. Aber dann kam irgendwann wieder eine mir bekannte Stufe, Rinne oder ein am Wegesrand mit ausladenden Ästen bestückter Baum den ich streifte, und meine Ortskundigkeit war wiedergegeben. Eine ganz große Hilfe war die Gelassenheit meiner beiden Freunde. Hätte Tammy oder Koba mir gegenüber Unsicherheit oder gar misstrauen ausgestrahlt, ich hätte es nicht geschafft. Nach unzähligen Stufen, Querungen, Bächlein und Rasenhängen kamen wir schließlich punktgenau beim Einstieg unserer mit 11 Seillängen gespickten Kletterroute an.

Hier war gerade eine Seilschaft, ein Pärchen aus dem Salzburger Land vor uns eingestiegen. Ich trieb die beiden Japaner bezüglich Vorbereitung auf die nun folgende Klettertour ziemlich an. Anscheinend war ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, wie viel Zeit wir für die Tour benötigen und wie bald es jetzt im September gegen Abend schon dunkel wird. Ich wollte vermeiden, dass am Ende keiner von uns mehr was sehen kann. Der Helm war aufgesetzt, der Gurt straff am Körper und die Kletterschuhe an den Beinen. Es konnte los gehen.
Für Tammy war dieses Bild wahrscheinlich schon sehr sonderbar, als der blinde Österreicher nun einfach los stieg, voll entschlossen in die für reine Hallenkletterer völlig wilde und unübersichtliche Welt ohne Plastikgriffe.
Mein 60m Kletterseil zog ich hinter mir her und ich war alleine.
Alleine in meinen Felsen die mich, und die ich kannte.
Einfach Höchstgenuss und totale Entspannung.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich vergessen, dass unten am Einstieg der Weltmeister im Paraclimbing mit seiner Frau steht und wahrscheinlich nervöser als ich sein musste.
Die ersten beiden Seillängen kamen wir etwas zaghaft voran. Wieder mussten wir uns neu auf diese nun neue Situation einstellen und auf einander neu abstimmen.
Ich hatte für mich die ersten beiden Seillängen als Probelauf am Programm. Falls wir hier schon sehr langsam oder gar nicht vorankommen sollten, wäre noch Gelegenheit für einen geordneten Rückzug gewesen.
Dies Kommunizierte ich auch klar an Koba und Tammy.
Am Ende der zweiten Länge, vielleicht 60 Meter oberhalb des Einstiegs und damit des sicheren Wandersteiges, welcher uns sicher nach Unten geführt hätte, kam ich wieder in eine etwas kritische Lage.
Unser Tempo war exakt an der Grenze für mich, umkehren zu müssen. Ich ließ tatsächlich, was ich sonst nie mache, meine Stoppuhr mitlaufen.
Es ist einfach sagenhaft, wie man im Tun die fortlaufende Zeit übersehen kann uns sich damit in diesen 11 Seillängen und über 300 Metern vertikalen Felsen in eine sehr ungute Position verlaufen kann.
Wer sollte uns da dann rausbringen? Ich spürte die volle Verantwortung über uns drei und damit konnte ich gut umgehen.
Die dritte Länge ging ich nach Absprache mit Tammy und Koba an.
Ich bemerkte, es lief nun schon flüssiger.
Ab der vierten Länge gab es auf Grund des Routenverlaufes keine, bzw. nur noch schwer die Möglichkeit für mich, uns drei im Falle eines nötigen Rückzuges, gesund nach unten zu bringen.
Die Entscheidung war gefallen. Wir mussten den Felsen nach oben entsteigen. Und das war noch weit. Es war bereits lange nach 12:00 Uhr mittags.
Den mutigen gehört die Welt, oder besser. Wer sich wirklich bemüht, dem folgt der Lohn auf den Fuß, könnte man da sagen. Und nach der fünften Länge lief ich dem Nachsteiger der vor uns steigenden Seilschaft am Standplatz auf.
Dessen Vorsteigerin hat sich doch glatt verklettert und kämpfte kurz mit der Routenfindung.
Ich scherzte mit Koba. „Koba! I think, they are blind too 😊”.
Die Seillängen 6, 7 und 8 verliefen nun richtig gut. Tammy überraschte mich mit ihrem Bewegungstalent und sie konnte auch Koba bei brenzligen Stellen Hinweise zum Höhersteigen geben.
Im letzten Teil unserer Route wurde das Gelände recht einfach und die beiden genossen hörbar die letzten Klettermeter hinauf auf die Laserzwand.
Dort oben warteten unsere beiden neuen Bekannten aus der Seilschaft vor uns und offerierten uns, mit uns den nun folgenden, speziell für Koba extrem schwierigen Abstiegsweg hinunter zur Karlsbader Hütte zu gehen.
Ich durfte mich mit meinen beiden Fingern der linken Hand, mit Hilfe meiner Rucksacktechnik am Vordermann orientieren und kam somit völlig entspannt während unseres gegenseitig sehr wertschätzenden Gesprächs voran.
Tammy kämpfte sich mit ihrem Mann Koba über den für Blinde wirklich unfreundlichen Wandersteig über Steinblöcke, Geröll und unregelmäßigen Stufen, Meter für Meter nach unten.
Man muss wissen, Koba wuchs in Tokio auf und konnte als Kind niemals dieses unregelmäßige Gelände üben.
Für mich ist es seit Jahrzehnten mein bei nahe tägliches Brot, mich mit Hilfe meiner Burschen über diesen Untergrund zu schwindeln.
An dieser Stelle wurde uns allen völlig klar.
Es gibt hier keinen Besseren oder Schlechteren.
Es gibt uns Verschiedene.
In der Kletterhalle hänge ich im Vergleich zum grazil kletternden Worldchampion Koba da wie ein nasser Sack, falls ich überhaupt vom Boden abhebe.
Im alpinen Gelände ist Koba freiwillig der Seilzweite.
Zusammen waren wir heute gemeinsam mit unserer sehenden Tammy eine ganz besondere Seilschaft.
Die Stunden waren viel zu schnell vergangen, die Sonne viel zu früh schlafen gegangen, sau müde sanken wir am Abend in unsere Betten und waren nicht mehr im Stande, für den nächsten Tag ein weiteres Abenteuer zu vereinbaren.
Volle Zufriedenheit und tiefste Dankbarkeit unserem Leben gegenüber, brachte uns dieser einmalige 17. September 2018…

Andy Holzer, 18. September 2018

 

Worldchampion Koba mit Everest-summiter Andy (Sabine Holzer)

 

Tammy Koba und Andy nach dem Ausstieg (Tamiko Kimoto)

 

Koba und Andy am Weg zum Einstieg (Tamiko Kimoto)

 

Koba geniesst den Ausblick (Tamiko Kimoto)

 

Andy sichert Koba (Tamiko Kimoto)