19. Tag Ganz schlimmes Unglück im Khumbu-Eisfall
Ich bin froh nun endlich einen ausführlichen Bericht über die Ereignisse der letzten Tage von unseren Bergsteigern erhalten zu haben.
„Hallo Spatz,
Jetzt bin ich gerade aus Lobuche zurück und möchte Dir und unseren treuen Lesern über die letzten Tage hier berichten.
Am Freitag, 18. April, am Morgen gegen 07:20 Uhr wurde ich im Zelt durch lautes, diesmal ganz in anderer Richtung verlaufendes Knattern der Rotorblätter eines Helikopters geweckt.
Ich kenne mittlerweile schon vom Tonverlauf, wo die hier im Basecamp täglich verkehrenden Hubschrauber landen und starten. Es gibt gewisse Landepunkte und der Rotorensound diesen Freitagmorgen war von ganz anderen Richtungen zu vernehmen.
Als ich nach dem vielleicht 15 Minuten andauernden Lärm, der sich dann wieder Tal auswärts verzog, aus dem Zelt stieg, waren plötzlich verschiedenste Stimmen aus Funkgeräte zu hören, die einige Leute ganz in der Nähe meines Zeltes mit sich trugen und hektisch damit kommunizierten.
Auch die US-Amerikanische Bergführerin, die schon fünfmal am Everest war, stand nur 20 Meter neben mir mit ihrem Funkgerät.
Ganz deutlich konnte ich vernehmen, dass es sich um einen Suchflug handelte, und die Besatzung des zuvor gehörten Helikopters hätte verschiedene Teile wie ein Zelt und auch Menschen gesichtet.
Aus der panischen Stimmung die von den Geräten ausging war mir sofort klar, da muss was passiert sein.
Schon kurz nach 08:00 Uhr beim Frühstück teilte uns Dawa Stevens die traurige Gewissheit mit, dass sich im Khumbu-Eisfall eine schreckliche Tragödie ereignet habe.
Erst ging man von 6 Sherpas aus, die von einer Eislawine, verursacht durch einen umgefallenen Serak erfasst worden seien.
Es dauerte dann relativ lange, bis zu mindest für uns hier im Basislager, die Rettungsaktion richtig anlief.
Im Laufe des Vormittags trafen zwei Hubschrauber ein und flogen immer wieder in Richtung oberen Khumbu-Eisbruchs hinein.
Gegen Mittag sahen meine Freunde dann auch leblose Körper am Tau dieser Rettungsmaschinen hier her ins Basecamp fliegen.
Von Stunde zu Stunde wurde die Katastrophe deutlicher und Dawa Stevens sowie unser Dr. Nimar waren nur noch am organisieren und machen. Dr. Nimar stand neben einigen anderen Ärzten hier im Lager im Hospitalzelt für die eingetroffenen Verunglückten mit allen Kräften zur Verfügung.
Unser geplanter Aufbruch hinaus nach Lobuche, um am nächsten Tag ins Highcamp des Lobuche Peak zu gelangen, verschob sich nun auch immer weiter in den Nachmittag hinein.
Dr. Nimar, der eigentlich mit uns zur Akklimatisierungstour auf den 6.119m hohen Lobuche East kommen wollte, fiel durch seinen so nun viel wichtigeren Einsatz für die verunglückten Sherpas natürlich aus.
Gegen 14:00 Uhr zogen Daniel, Wolfi, Juliane, die beiden Thomas und noch einige andere Bergsteiger mit mir in Richtung Lobuche los.
Wir waren emotional sehr mitgenommen, hörten doch einige meiner Partner sogar den Lawinenabgang, der sich ca. 2km Luftlinie, bzw. 3 Gehstunden von uns ereignet hat, persönlich am Morgen.
Wolfi sagte mir, er habe auch die Druckwelle mit einem kräftigen Windstoss an seinem Zelt deutlich gespürt.
Auf der einen Seite waren wir etwas erleichtert, diesen Ort des Unheiles nun mal für einige Tage verlassen zu können. Das darf man nicht als Davonlaufen werten, wir konnten ja so gut wie gar nichts beitragen…
Der Abstieg nach Lobuche ging mir körperlich sehr gut und auch der Aufstieg ins Hochlager am Samstag über einen für mich recht schweren Weg, bei dem mir Wolfi sogar meine Sachen trug, war letztlich kein großes Problem.
Nur im Kopf spielte es sich ab. Was ist passiert? Wie soll man das werten?
Wie viele Frauen haben jetzt keinen Mann, wie viele Kinder keinen Vater mehr? Was treffe ich selbst für eine Entscheidung, falls ich überhaupt noch in die Verlegenheit komme, den Khumbu-Eisfall zu durchklettern? Dieser Weg ist hier der Einzige zum Gipfel des Mt. Everest und es ist durchaus möglich, dass die Route auf Grund dieses fürchterlichen Unfalles gesperrt wird.
Mit Wolfi, meinem Zeltpartner konnte ich in dieser Hochlagernacht sehr tiefsinnige Gespräche darüber führen, was mir sehr gut tat. Auch Daniel, Juliane und das Kamerateam wurden hin und her emotionalisiert…
Doch wir kamen auf einen gemeinsamen Nenner. Wir sollten uns nun auf unseren nächsten Schritt dieses einzigartigen Projektes Mt. Everest konzentrieren, und das ist die Ersteigung des Lobuche Peak mit über 6.000 Metern als perfekte Akklimatisierung.
Das ist auch das Einzige, was wir beeinflussen oder aus eigener Kraft nun tun konnten.
In der Osternacht, von Samstag auf Sonntag gegen 03:00 Uhr starteten wir bei Sternenhimmel von unseren Zelten auf 5.200 Metern.
Diesmal war Daniel mein persönlicher Navigator und ich stieg als Einziger ohne Stirnlampe, knapp hinter meinem Freund durch die Nacht nach oben.
Wolfi kümmerte sich während des gesamten Auf- und Abstieges um unsere Juliane, die als “Hamburgerin” extrem gute Figur auf ihrem ersten Sechstausender machte.
Schon klar, auch in Hamburg gibt es fantastische Bergsteiger. Aber für Juliane war das laut ihrer eigenen Aussage eine ganz schön harte Nummer.
Die technische Herausforderung beim Aufstieg durch die halbverschneiten, vereisten Felsen in ungemütlicher Steilheit, war für alle ein richtiges Spiel zwischen Abrutschen, oder doch Halt finden.
An ganz üppigen Stellen waren Fixseile angebracht und wir waren alle froh, sich dort sichern und vor einem sicheren Absturz mit grausigen Folgen bewahren zu können.
Das Hochklettern über kurze senkrechte, sehr glitschige Aufschwünge brachte mir den Puls manchmal arg zum Klopfen.
Mit Daniel und meinem Sherpa Tensing kamen wir aber recht gut weiter.
Bei Sonnenaufgang kamen wir oben auf 5.500 Metern beim so genannten Cramponplace an.
Hier ging das Gelände schlagartig in reines Schnee und Eis über und die Steigeisen kamen zum Einsatz.
Wie wunderbar für mich und meinen Körper.
Dieses unregelmäßige Gewusel von Felsblöcken, Platten und tiefe gefährliche Löcher dazwischen, glasiert mit Eis und dünnem Schnee war nicht ohne für mich.
Nun auf meinen Zwölfzackern von AUSTRIALPIN fühlte ich mich mit dem Berg eins.
Mit Tensing, der immer noch meine Videokamera bei sich trug, stieg ich nun relativ flott diesen immer steiler werdenden Firnhang hinauf und ich bemerkte gar nicht, dass die Höhenmeter plötzlich komfortabel unter mich gedrückt wurden.
Auch die Höhe vertrug ich schon sehr gut und meine Beine fühlten sich leichtfüßig an.
“You climb like a Sherpa” sagte Tensing vergnüglich zu mir…
Für mich klar, hier an dieser blanken Steilfläche kann ich meine Kraft eins zu eins auf den Boden bringen und keine Fehltritte oder kein Taumeln an wackeligen Steinblöcken hindern meinen Vortrieb. Für sehende Bergsteiger ist es hingegen am steilem Eis oder Firnhang ähnlich von der Energieverschwendung wie über wildes bockiges Felsterrain.
So hat sich hier das kleine Feld von Bergsteigern rasch auseinander gezogen.
Aber damit war bald Schluss, hielt uns Tom und Thomas, mein Kamerateam für die ARD zwecks Filmaufnahmen auf.
Da fiel mir wieder ein, dass ja gute Fernsehbilder dieses wunderbaren Morgens auch sehr wichtig sind.
Schließlich kamen Daniel, Tensing und ich um 08:10 am Gipfel an und Tom mit Thomas drehten wohl einzigartige Aufnahmen unserer Ankunft auf 6.119m und dem wahnsinnigen Panorama bei wolkenlosem Himmel.
Mt. Everest, Nuptse, Lhotse, Makalu, Baruntse, Ama Dablam, Mera Peak von links nach rechts zierten den östlichen Morgenhorizont.
Wir hatten erst begonnen unsere Thermosflaschen, die wir von INTERSPAR bekommen hatten zu leeren, da erschien schon Wolfi mit Juliane an der Kante des Gipfelplateaus und wir waren alle überglücklich.
Gut zwei Stunden verweilten wir plaudernd mit anderen Bergsteigern hier oben um unsere Höhenanpassung weiter zu verfestigen.
Den Abstieg schaffte ich mit Daniel erstaunlich gut. Die 500m hohe Gipfelfirnflanke wurde an Fixseilen abgeseilt und im wirren Blockfels führte mich Daniel teils mit “Rucksacktechnik” teils verbal sicher nach unten.
Um 12:20 Uhr saßen wir beide wieder auf 5.200m im Hochlager und packten unsere Sachen für den weiteren Abstieg.
Wolfi kam mit Juliane mit leider nicht ganz glücklichem Ausgang der Besteigung bei uns an.
Bei einem Abseilmanöver hat sich Juliane ihren Fuß in einer Felsritze verdreht und wohl eine unangenehme Zerrung der Bänder zugezogen.
Wolfi stellte seinen Mann als Bergführer mehr als vorbildhaft und führte Juliane für sie Fuß schonend zum Hochlager herunter.
Wieder einmal zeigte mir Juliane, welch harten Schädel sie haben muss.
Nach meiner Frage nach einer eventuellen Helikopterbergung verneinte sie und meinte, “wo ich mich hinauf geschunden habe, da möchte ich auch selbst hinunter kommen”.
Tatsächlich trafen wir alle gemeinsam am Nachmittag des Ostersonntat in der Eco Lodge in Lobuche ein und eine wunderbare Tour ging zu ende.
Heute Ostermontagmorgen starteten wir nach einer tief durchschlafenden Nacht aus Lobuche hinauf in Richtung Mt. Everest Basislager.
Denselben Weg, den wir bei unserem erstmaligen Erreichen des Basislager vor einer Woche schon einmal unter die Füße nahmen.
Aber siehe da, die fortschreitende Höhenanpassung war heute erfreulich zu spüren. Fast spielerisch huschten wir über die mit Steinen, Stufen, Yaks und Trekkern gepflasterte Wegstrecke, für die wir heute im Gegensatz von letztens 4,5 Stunden, nur noch 3 Stunden benötigt haben.
Direkt beim Eintreffen bei unseren Zelten im Everest Basecamp begrüßte mich Dawa Stevens, der Chef unserer Agentur ASIA-TREKKING ganz ganz herzlich.
In einem zehnminütigen sehr offenen und herzlichen Gespräch erfuhr ich von ihm nun genaueres zu dem traurigen Ereignis im Khumbu-Eisfall am Karfreitag.
Unzählige Versionen, Anzahl von Verletzten und Getöteten, Reaktion der Nepalesischen Regierung und anderen Expeditionsagenturen kamen uns während der letzten Tage zu Ohren und wir konnten uns einfach kein klares Bild der Situation machen.
Niemand vermittelte uns tatsächlich Fakten. Am ehesten erfuhren wir über westliche Medien was am Freitag hier wirklich passiert ist.
So war ich sehr froh, eine vertrauenswürdige Person vor mir zu haben, mit der ich Klartext reden konnte.
Es betrifft neben mir auch meine Freunde Daniel, Wolfgang und natürlich meine Daumenhalter zu Hause, unsere Familien und nicht zuletzt meine Sponsoren, die mich bei meinem Traum vom Everest so herzhaft unterstützen.
Ich möchte ihnen allen Antwort zu unserer weiteren Vorgehensweise geben, damit unser Tun auch nachvollziehbar bleibt.
Laut Dawa Stevens sind am 18. April gegen 07:00 Uhr Ortszeit 16 Sherpas durch eine Eislawine getötet bzw. vermisst worden. 10 Menschen kamen mit Verletzungen davon.
Ereignet hat sich dieser tödliche Eissturz im Khumbu-Eisfall, zwischen Basislager und Lager 1, oberhalb des so genannten Fußballfeldes.
Eine Leiter über eine Gletscherspalte musste dort repariert werden worauf ein Stau entstand und sehr viele Leute an derselben Unglücksstelle standen.
Die verunglückten Sherpas trugen an diesem Morgen wie auch viele andere, vom Pech verschonten Sherpas die Lasten in die Lager 1 und Lager 2, um den Weg in Richtung Gipfel mit Seilen abzusichern und die Lagerketten aufzubauen.
Nach dem Unglück und den Bergearbeiten gingen alle Sherpas, also auch jene, die nicht unmittelbar von dem Unfall betroffen waren nach Hause in ihre Dörfer, mehrere Tagesmärsche vom Basislager entfernt.
Sie kennen sich doch fast alle untereinander und es ist so wichtig, diese schwere Zeit zu Hause bei den Familien zu verbringen.
Es ist nun so vereinbart, dass unsere Sherpas eine Woche zu Hause bleiben und nach deren Rückkehr ins Basislager selbst entscheiden, ob sie hier weiter machen oder nicht.
Je nach dem, wie viele Sherpas, ohne die hier nichts geht, sich für die Weiterarbeit entscheiden, wird auch konkret unsere Zukunft am Mt. Everest aussehen.
Ich selbst finde es gut, dass man die Zeit einräumt und keinen Schnellschuss veranstaltet.
Tatsache ist doch, dass es auch um die Zukunft hier im Tal geht – z.B. wird der Everest im nächsten Jahr nicht anders sein.
Es ist so unendlich schwierig, jetzt einen richtigen Weg zu erkennen….
Auch Dr. Nimar und Dawa Stevens sagten mir heute, dass es eigentlich keinen richtigen Weg aus der jetzigen Sicht gibt.
Brechen wir heute aus Respekt dem umgekommenen Sherpas und deren Familien gegenüber alles hier ab und fahren nach Hause, kann man das so oder so sehen.
Das Sherpaland lebt von dieser Arbeit, die zweifelsohne sehr sehr gefährlich ist und die so herzlichen und unglaublich starken Träger und Climbingsherpa ernähren mit einer Everestsaison von April bis Ende Mai ihre Familien ein ganzes Jahr lang.
Sie haben hier seit Jahrzehnten nichts anderes getan und währen ohne dieses System mit den Expeditionsagenturen und uns westlichen Bergsteigern in einer großen Krise.
Die, die mit den Gefahren des Khumbu-Eisbruches am aller meisten vertraut sind, das sind die Sherpas. Sie sind es auch, die die Arbeit hier auch mal verweigern, weil sie nicht blindlings ins Unheil geschickt werden wollen.
Jetzt vielleicht zu sagen, die finanziell gut bestückten Möchtegernbergsteiger verdammen die Sherpas für diesen Job, das ist einfach nicht fair.
Man sollte mal einige Wochen gemeinsam hier mit den Einheimischen zusammen arbeiten, dann kann man mehr darüber empfinden und sagen.
Natürlich gibt es auch in diesem Geschäft Schwarze Schafe, aber wo gibt es diese nicht?
Also soweit mein ausführlicher Bericht zur Lage vor Ort.
Wir erholen uns jetzt mal einige Tage vom Schock der Katastrophe und den müden Beinen der Lobuche Peak-Besteigung und dann sehen wir, was uns hier zu tun bleibt.
Ich denke ganz fest, der Liebe Gott weiß was er mit mir vorhat.
Alles Liebe aus dem Basislager,
Andy mit seinem Superteam“

Basislager Mt Everest – wo unser Team jetzt wartet
Ich möchte für heute nur mehr Tashi Delek – Glück und Segen! allen wünschen euer Bodenpersonal Sabine